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Philo-Wettbewerb 2023/24

Den Belitsky / Planetarium Mannheim
Herzlichen Glückwunsch: Immanuel Kant zum 300. Geburtstag und den drei
    Gewinner*innen unseres

HCG-Philo-Preises !

Immanuel Kant (1724-1804)

1. Preis

 

Lara Melissa Kazak (4. Semester):

Wie verhält sich die Moral des kleinen Menschen zu den unendlichen Weiten des Universums?

 

Abstract: Lara fragt danach, in welchem Verhältnis der Mensch mit seiner moralischen, nicht ausgedehnten Innenwelt und die unendlich ausgedehnte Außenwelt des Universums mit ihrer unbegreiflichen Weite stehen: Beide bilden eine Quelle der Bewunderung, die sich zu Ehrfurcht steigert. Die Antwort: Als „Signatur unserer unausrottbaren Menschenwürde“ umfasst die moralische Autonomie auch „alle konzentrischen Kreise der Außenwelt“ – sogar noch in Zeiten von Weltraumfahrten und brutalen Kriegen.

 

In einer sich vermeintlich immer schneller drehenden Welt, die unaufhörlich voranschreitet, in welcher wir unzähligen Sinneseindrücken ausgesetzt sind, in der ein technologischer Fortschritt den anderen ablöst, in der Künstliche Intelligenz nach und nach in alle Bereiche unseres Leben dringt, in der Kriege so nah sind wie nie zuvor und zum gelebten Alltag werden, in der wir bisweilen erschöpft und atemlos ob der schwindelerregenderen Flut an Entwicklungen zurückgelassen werden, empfinden wir manchmal das sich aufdrängende Bedürfnis, inne zu halten. In solchen Momenten kommt es gelegentlich vor, dass wir in den nächtlichen Himmel blicken, nur um für wenige Sekunden diese auf unseren Schultern lastende Bürde und unsere wirren Gedanken um diese herum vergessen zu können. Ein jeder kennt sicher das überwältigende Gefühl, welches uns bei dem Blick in die schier unendliche Weite des Himmels und die sich dabei aufdrängende Frage, ob wir Menschen und unsere Empfindlichkeiten sowie Empfindungen überhaupt eine bedeutende Rolle im Angesicht der unendlichen Weiten des Universums spielen, überkommt. So erging es möglicherweise auch dem berühmten Philosophen Immanuel Kant, aus dessen Feder das folgende bekannte Zitat stammt und dem sich mein Essay widmet:

„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“

Immanuel Kant (1724-1804)

Das Zitat lässt sich dem Beschluss, mithin dem letzten Teil von Kants Kritik der praktischen Vernunft1 zuordnen, in welcher Kant insbesondere eine Verbindung zwischen seiner theoretischen und seiner praktischen Moralphilosophie aufzuzeigen versucht.

Doch inwiefern lassen sich nun überhaupt die Moral und der Sternhimmel miteinander verbinden? Und wie genau bilden beide Entitäten eine komplexe Einheit?

Die Aussage Immanuel Kants „Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir“ setzt die unendlichen sowie unermesslichen Weiten des Universums und die Grenzen der im Vergleich zur Galaxie nicht ausgedehnten Moral unserer psychischen Innenwelt durch zwei Metaphern in Relation zueinander. Der Anblick des Sternenhimmels kann hierbei als Metapher zu verstanden werden, welche die für uns Menschen überwältigende und unbegreifliche Größe wie Struktur unseres Kosmos, also die physikalische Außenwelt, repräsentiert. Dahingegen kann das „moralische Gesetz in mir“ metaphorisch für die seelische Innenwelt des Menschen mit all ihren moralischen und ethischen Prinzipien sowie Konzepten stehen. Das Bild vom bestirnten Himmel, dass unsere physikalische „Winzigkeit“ angesichts des schier unendlichen Universums herausstellt, und das moralische Gesetz, welches unserem Inneren inhärent ist, verkörpern den Dualismus der menschlichen Existenz im Kantianischen Sinne.

„Der bestirnte Himmel“, den Kant erwähnt und das „moralische Gesetz in ihm“ sind die zwei Dinge2, die unser Gemüt mit Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen. Dies bedeutet, dass die Innenwelt nicht nur eine Verbindung mit der materiellen Außenwelt schafft[1], sondern auch einen Zugang zum innersten Kern seines Wesens3 kennt, wo das wahre Unendliche, gemeint ist das, was weder empirisch noch mathematisch bestimmt werden kann, sich als non plus ultra des Menschenwirkens zeigt. Das moralische Gesetz als allgemeines Prinzip wirkt also „erfüllend“, da es kein rein formales oder abstraktes Gesetz ist, sondern eine weltbestimmende Aufgabe, die sich im konkreten Leben des Menschen realisiert. Hieraus bricht die eigentliche Unendlichkeit oder die unüberwindbare normative Instanz des moralischen Verhaltens hervor, die gleichberechtigt neben der Unendlichkeit des Universums zu bestehen vermag. Moral und Sternenhimmel sind insofern miteinander verbunden, als sie beide eine Quelle der Ehrfurcht und Bewunderung darstellen.

Immanuel Kant (1724-1804)

Doch was ist unter den Termini „Bewunderung“ und „Ehrfurcht“ eigentlich zu verstehen?

Das Wort „Ehrfurcht“ impliziert in diesem Kontext im kantianischen Sinn ein Gefühl4, welches aus der Anerkennung der moralischen Gesetze als eines Imperativs der Vernunft hervorgeht. Man könnte an der Stelle einen durchaus berechtigten Unterschied zwischen „Bewunderung“ und „Ehrfurcht“ einführen. Der Terminus der „Bewunderung“ ist hierbei positiver konnotiert als der Begriff der Ehrfurcht.

Denn die „Bewunderung“ bezieht sich auf das Gefühl, dass einen jeden überkommt, wenn er durch den Blick in den Sternenhimmel in die unendlichen Weiten unserer Galaxie blickt und immer wieder aufs Neue fasziniert von jenem „schönen“, scheinbar vollkommenen Konstrukt ist. Dahingegen kann die „Ehrfurcht“ als eine Steigerung der „Bewunderung“ wahrgenommen werden, welche zusätzlich ein durchaus furchteinflößendes Gefühl von Erhabenheit, Überwältigung sowie Hochschätzung auslöst.

Die Erhabenheit des Sternenhimmels außer uns und das moralische Gesetz in uns fordern also gleichermaßen Bewunderung und Ehrfurcht. Diese Verbindung verdeutlicht, dass die moralischen Prinzipien, die wir in uns tragen, nicht isoliert von der Natur existieren, sondern in einem größeren kosmischen Kontext verankert sind.

Doch in welchem Verhältnis steht nun der kleine Mensch mit seinem moralischen Wesen zu der großen Natur mit ihren unzählbaren Galaxien und Sonnensystemen? Welchen Platz können der Mensch und seine Moral in den unendlichen Weiten des Universums überhaupt einnehmen?

Das Verhältnis zwischen dem ausgedehnten Universum und der nicht ausgedehnten Innenwelt des Menschen, zeigt sich jedoch nur nach dem ersten Dafürhalten als asymmetrisch. In diesem Zusammenhang erscheint aus kantianischer Sicht die mechanische Beschreibung des Universums weniger erstaunlich als das, was der menschliche Geist aus der transzendentalen Subjektivität hervorbringen kann, nämlich die Möglichkeitsbedingungen jeglicher Erkenntnis – und daher des Bezugssinns als Bestimmung der bedeutsamen Stellung des Menschen im Universum.

Diese moralische Instanz, mit deren Hilfe sich der Mensch über alle „Determinationen“ hinauszuheben vermag, über den Gipfel seiner eigenen wahren Unendlichkeit hinaus, nämlich der moralischen Autonomie seiner Handlung, umfasst alle konzentrischen Kreise der Außenwelt und vermag das Verhältnis der verstandesmäßigen Beobachtung des Kosmos sogar umzukehren. Der Mensch erscheint jedenfalls nicht mehr als ein unbedeutsam kleines Element inmitten der materiellen grenzenlosen Ausdehnung des Weltalls, sondern zumindest auch als ebenbürtig.

Wenn wir nun sowohl für das moralische Gesetz in uns als auch für die unendlichen Weiten des Kosmos „Bewunderung“ und „Ehrfurcht“ in dem vorbeschriebenen Maße empfinden, stellt sich die Frage inwiefern diese Empfindungen in unserer heutigen Zeit, im Zeitalter von Weltraumfahrten und brutalen Kriegen sowie anderen Unwägbarkeiten noch möglich sind.

Und wie ist in diesem Zusammenhang unsere Situation im Universum aus heutiger Sicht zu deuten?

„Ehrfurcht“ ist meiner Meinung nach durchaus eine Sache des Gemüts oder der Psyche, die eigentlich darauf hinweist, dass es in unserem Universum – trotz aller Schreckensinstanzen der Geschichte – etwas ist, was unversehrt bleibt und gleichzeitig uns nicht völlig entzogen werden kann. „Gemüt“ ist das, was all unsere Vermögen verbindet und uns Vernunftbegabte gegenüber anderen Wesen einzigartig macht. Dem Gemüt ist das moralische Gesetz eingeschrieben als Signatur unserer unausrottbaren Menschenwürde.

Daher vermögen empirische Katastrophen nach meinem Dafürhalten – in welchem Ausmaß auch immer – niemals in einen Verzicht auf „Bewunderung“ und „Ehrfurcht“ zu münden, da diese Empfindungen eine Haltung zu zwei grundlegenden Polen der menschlichen Würde darstellt: die Fähigkeit, das Mysterium des Universums zumindest wahrzunehmen und die angeborene Möglichkeit moralisch zu handeln. Diese zwei Pole sind, als Grundlage menschlichen Seins, keineswegs durch empirische Umstände zerstörbar. Die Feststellung historischer Katastrophen kann mithin weder die Bewunderung noch die Ehrfurcht angesichts der vernünftigen und moralischen Anlage des Menschen ungültig machen.

Auch in der heutigen Zeit können wir daher sowohl „Bewunderung“ als auch „Ehrfurcht“ trotz aller technologischen und wissenschaftlichen Fortschritte, auch in der Weltraumforschung, und trotz brutaler Kriege und globaler Konflikte dennoch empfinden, auch wenn die moralische Betrachtung dadurch herausgefordert und hinterfragt wird.

Gerade die technologische Weiterentwicklung und der immense Fortschritt in der Weltraumforschung vermögen eine Brücke zwischen unserer seelischen Innenwelt mit ihrem moralischen Grundprinzip und dem uns umgebenden unendlich weiten Universum zu schlagen. Dadurch, dass wir der Galaxie durch diesen Fortschritt näher sind als je zuvor und vor allem im Vergleich zur Zeit Kants, müssen wir uns der Vollkommenheit und Wichtigkeit des Kosmos nicht mehr unterlegen fühlen, sondern können uns als Teil des großen Ganzen empfinden.

Im Zeitalter von Weltraumfahrten und globalen Konflikten könnte sich also zwar die Empfindung von Ehrfurcht verändert haben, aber dennoch bleibt die humane Bedeutung von Bewunderung und Hochachtung vor dem Universum und den ethischen Prinzipien bestehen.

Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt habe.

[1] Auf diese Welt geht Kant in seiner ersten Kritik ein, der Kritik der reinen Vernunft, wo es sich darum handelt, den Bereich und die Grenze der Erkenntnis von Objekten zu bestimmen.

2 Dass Kant das Wort „Ding“ und nicht „Gegenstand“ oder „Objekt“ verwendet, sollte an dieser Stelle angemerkt werden. Ein „Ding“ ist viel allgemeiner, schwer einzukreisen; es trägt die Aura eines „Sichentziehenden“, welches sich trotzdem „zeigt“ (vgl. Martin Heideggers fundamental-ontologische Überlegungen über „das Ding“, in: Vorträge und Aufsätze, Aufsatz „Das Ding“. 1980).

3 Im innersten Kern des Menschenwesens, und aufgrund des moralischen Gesetzes, zeichnet sich dieses vernünftige Wesen (der Mensch) für Kant als die Krone der Schöpfung. Die praktische Funktion des Intellekts (der sich keineswegs auf jene der theoretischen Vernunft reduziert) stellt eine besondere Art von Objektivität dar, die ins Unendliche hinübergeht.

4 Wie Ina Goy richtig anmerkt, ist das Gefühl der Achtung „ein apriorisch reines, gleichwohl sinnliches Moment […], das nach Kant unverzichtbar an der Grundlegung der Moralität der Handlung beteiligt ist“ (Ina Goy: Immanuel Kant und das moralische Gefühl der Achtung, in: Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. 61 (Juli-September 2007), Frankfurt, Klostermann, pp. 337-360, hier p. 337).

 2. Preis

Zoé Atris (2. Semester)

 Ganz schön was los in Kants Gehirn

 

                                                         Immanuel Kant (1724-1804)

 

Abstract: Zoé betrachtet Kants berühmtes Zitat im Licht der neueren Wissenschaften, insbesondere der Neurowissenschaften. Ausgehend von den verschiedenen Verwendungsweisen der Ausdrücke Bewunderung und Ehrfurcht kommt ihr unterhaltsamer Streifzug durch die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte zu dem Ergebnis: „das ‚moralische Gesetz‘ in uns ist genauso rätselhaft wie der bestirnte Himmel über uns“.

 

Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.

Allein in unserer Galaxie scheinen etwa 250 Milliarden Sterne, um uns herum schwirren Billionen, wenn nicht sogar unendlich viele Galaxien und das Universum ist wahrscheinlich unendlich groß. Und das vergleicht Kant mit uns mickrigen, meist höchstens 1,80m großen Menschen? Hört sich paradox an, aber aufgepasst – es geht nicht um uns als Menschen, geschweige denn um unsere physische Größe, sondern um das, was in uns steckt, und um das, was wir genauso wenig erforscht haben – vielleicht nicht einmal können – wie das Universum. Er spricht von Bewunderung und Ehrfurcht, die wir dafür besitzen. Laut der Oxford Languages Definition ist Ehrfurcht die Hochachtung, Respekt vor der Würde, Erhabenheit einer Person, eines Wesens oder einer Sache. Aber was ist Ehrfurcht wissenschaftlich gesehen wirklich? Wie hängt sie mit dem Bewusstsein zusammen, das Kant – und offensichtlich jeder andere, der Ehrfurcht empfinden kann, haben muss, um Ehrfurcht zu empfinden? Und hat sich unser Bewusstsein über Ehrfurcht mit der Zeit verändert? Inwieweit wird uns „vorprogrammiert“ vor wem oder was wir uns ehrfürchtig verhalten und können wir dann überhaupt sagen, dass wir allgemein – ob nun wegen Ehrfurcht oder jedem anderen Gefühl (viele Fakten können sich von Ehrfurcht auf andere Emotionen übertragen, außerdem gibt es einige Grundsätze, die Psychologen für alle Emotionen festgelegt haben), Dinge neutral, unvoreingenommen und objektiv betrachten können? Darauf versuche ich hier eine Antwort zu finden, also lassen Sie mich, so objektiv und wissenschaftlich fundiert, wie es geht, anfangen, auf solche Fragen Antworten zu finden.

Ehrfurcht. Bei diesem Begriff denken viele erst einmal, dass man sie nur empfinden kann, wenn etwas groß und majestätisch ist – eben die Faktoren, aus denen sich das Wort zusammensetzt – Ehre und Furcht. Aber muss das überhaupt sein? In einer Umfrage des SWR über Ehrfurcht, hat eine Passantin auch angegeben, dass sie Ehrfurcht vor Leuten empfinde, die sich sozial engagieren, ein anderer berichtete von dem Moment, in dem er vor Ehrfurcht erstarrt sei, als er die Bundesministerin mit der One Love Binde auf einer Versammlung gesehen hat. Und auch viele Emotionsforscher sind sich darin einig, dass etwas nicht immer gleich riesig und gewaltig – ganz zu schweigen sogar positiv sein muss, um Ehrfurcht davor zu empfinden. So auch Michelle Shiota, Psychologin und Emotionsforscherin an der Arizona State University, die Ehrfurcht in ihrem Aufsatz (et al.) „Positive Emotion and the regulations of interpersonal relationships“ (Shiota, M.N. et al. 2003) als die Emotion, die während kognitiver Akkomodation oder Schemabildung erfahren wird, welche intensive Aufnahme und Verarbeitung benötigt. Einfacher ausgedrückt – die Hauptfunktion der Ehrfurcht ist, dass wir für neue, unerwartete Funktionen aufnahmefähig werden. Diese kann, vielleicht überraschend für den einen oder anderen, sowohl negativ oder auch positiv sein. So erinnert sie sich bei ihrem Interview mit dem SWR daran, wie sie Menschen in einem New Yorker Museum beobachtete, die sich ein Video von dem Angriff auf die Twin Towers anschauten. Sie zeigten exakt die Gesichtsausdrücke, die charakteristisch für Ehrfurcht sind (welche genau sind nachlesbar in ihrem Aufsatz The faces of positive emotion – prototype displays of awe, amusement an pride, Shiota et al. 2003).

Langsam finde ich, dass man merkt, dass – zumindest aus heutiger Sicht der Forschung und sogar der Öffentlichkeit das Wort Ehrfurcht nicht ganz so passend ist, wie sein englisches Pendant „awe“ – beim Aussprechen lässt man dabei auch den Mund offenstehen, ein charakteristischer Gesichtsausdruck für Ehrfurcht und außerdem onomatopoetisch sehr passend. Naja, das nur am Rande.

Immanuel Kant (1724-1804)

 

Jetzt könnte man sich fragen, welche Ehrfurcht Kant wohl erfahren hat. Dafür ein kurzer historischer Exkurs. Früher, also so etwa bis in das 19. Jhd. (in bestimmten Kreisen etwas mehr bzw. weniger) war Ehrfurcht wirklich ein Mittel, das stark mit Furcht und mit Religion korrelierte. Plump gesagt, sie wurde benutzt, um Menschen gehorsam zu machen. Dann, so etwa ab Mitte des 18. Jhd. kamen dann Philosophen, die das nicht so auf sich sitzen lassen wollten. So auch Edmund Burke, ein eigentlich sehr konservativer anglo-irischer Philosoph, der sich auch noch gegen die französische Revolution stellte, geb. 1729 und gestorben 1797, der in seinem Buch „A philosophical Inquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful with an introduction discourse concerning taste.“  überraschenderweise die (erstrecht zu damaliger Zeit) radikale Meinung vertrat, dass Ehrfurcht im Alltag überall sei, und zugänglich zu allen sei. Man empfinde Ehrfurcht vor Dingen, die groß und nicht wirklich verstanden seien. Zum Teil richtig, zum Teil auch nicht, wie schon erläutert. Genauso wie der Philosoph Emerson, der sogar noch einen Schritt weiter gegangen ist in seinem Buch Nature 1836 über die Selbst – Transzendenz (hier nicht spirituell gesehen, sondern nur auf das Gefühl von Ehrfurcht bezogen) von Menschen in und auch nach dem Erleben von Ehrfurcht spricht (bei ihm nur auf Naturerlebnisse bezogen, tatsächlich wurde diese Transzendenz aber auch in mehreren, modernen Studien bewiesen, so auch in einer von Zelda Yanovich). Daher kann man davon ausgehen, dass Kant wahrscheinlich die Ehrfurcht noch als etwas betrachtet, das nur im Anblick von etwas Majestätischem, Großem – und, wie man aus seinem Zitat schließen kann, nicht ganz Verständlichem redet, dasaußerdem mit einem sehr erhabenen Gefühl verbunden wird (was auch dadurch suggeriert wird, dass er nicht nur von Ehrfurcht, sondern auch von Bewunderung spricht).

Hier möchte ich kurz über Bewusstsein sprechen, denn es ist das Bewusstsein, das all diese Dinge ermöglicht – nachdenken, reflektieren. Zumindest das, von dem wir ausgehen, dass es Bewusstsein ist. Ohne das Bewusstsein würde Kant ja nicht über sich selbst sagen können, Ehrfurcht und Bewunderung zu empfinden, oder?

Ohne Bewusstsein könnten wir doch gar nicht so existieren, herumphilosophieren über Dinge, die wir eigentlich gar nicht verstehen, aber versuchen, irgendeine Antwort mithilfe einer Theorie zu finden, bis diese auch irgendwann widerlegt wird. Aber so ist das nun einmal. Wie Sokrates schon sagte – Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und so wird das vielleicht immer bleiben. Entschuldigen Sie diese kleine Ausschweifung – wieder zum Bewusstsein.

Ich möchte Ihnen kurz drei der wichtigsten heutigen Theorien zum Bewusstsein vorstellen – die ‚Theorie der höheren Ordnung‘, die ‚Lokale Rekurrenz‘ und die ‚Self-comes-to-Mind- Theorie‘. Die Theorie der höheren Ordnung besagt, dass bewusste Erfahrungen die Fähigkeit erfordern, die eigenen geistigen Funktionen als solche zu erkennen, dafür würden „höhere“ Hirnregionen wie der präfrontale Kortex die Aktionen der „niederen“ sensorischen Areale überwachen. Ganz schön was los in Kants Gehirn, wenn man dieser Theorie glaubt. Die lokale Rekurrenz sagt so etwas ähnliches, nur dass Bewusstsein hier auf bidirektionalen neuronalen Austausch zwischen den verschiedenen sensorischen Hirnarealen beruht. Und António Damásios ‘Self-comes-to-mind-Theorie‘ besagt, dass das Gehirn Bewusstsein erzeugt, indem es Körperreaktionen auf innere oder äußere Reize in Gefühle übersetzt. Auch interessant. Das heißt, der bestirnte Himmel über Kant hat ihn dazu bewegt, Ehrfurcht zu empfinden, wodurch Bewusstsein erzeugt wird – Damásios Axiom „Ich fühle, also bin ich“ passt hier ganz gut. Wie auch immer es in Wirklichkeit ist, das Fühlen und Erleben von etwas scheint ganz essenziell für ein Bewusstsein zu sein.

Aber haben wir dadurch ein Bewusstsein oder wird es uns nur suggeriert? Erleben wir wirklich mit vollem Bewusstsein? Manche Menschen sprechen ja auch davon, dass sie eine höhere Stufe des Bewusstseins in einer Meditation oder auch im Schlaf erreicht hätten. Und was ist mit dem Unterbewusstsein? Und was bedeutet das neurowissenschaftlich betrachtet? So viele Fragen und keine einzige davon kann sicher beantwortet werden. Ich würde persönlich dafür plädieren, dass wir einfach offen bleiben für neue Ergebnisse der Forschung und auch selbst die Augen offenhalten – wer weiß, was am Ende bei der Bewusstseinsfrage herauskommt.

Kommen wir aber wieder zu den Gefühlen. Verhält es sich bei ihnen wie bei dem ‚Inside – Out Modell‘ des Gehirns und sollten wir dadurch also alle Ehrfurcht und Bewunderung vor dem bestirnten Himmel über uns und dem moralischen Gesetz in uns haben? Oder sind Emotionen eher etwas, über das wir selbst bestimmen? Laut den Professoren Joseph LeDoux und Richard Brown sind Gefühle und Emotionen nicht angeboren, sondern ergeben sich mit der Zeit aus den Umständen und Situationen, die einen umgeben. Hier muss man allerdings präziser werden. Denn es gibt trotzdem bestimmte Verhaltensmuster, Abläufe von Handlungen und Ausdrücke von Emotionen (siehe z.B. The faces of positive emotion – prototype displays of awe, amusement an pride, Shiota et al. 2003) die universell sind. Allerdings würde wahrscheinlich niemand Glück empfinden, wenn man jemanden sieht, der z.B. gefoltert wird – außer die Umstände um einen herum – frühe Erfahrungen, Erlebnisse, psychische Störungen etc. haben einen dazu veranlasst. Dies sind dann die Ausnahmefälle, die die Regel bestätigen. Alles in allem kann man also auch hier nur wiederholen, dass zwar schon große Fortschritte in der Forschung zu diesem Thema gemacht wurden, aber es einfach noch zu ungenau und schwammig ist – es ist einfach zu früh, um eine klare Antwort zu geben.

Ich persönlich würde allerdings zu der letzten Frage, die ich anfangs gestellt hatte, sagen, dass wir nie ganz frei von Emotionen und Gefühlen handeln können und nie vollkommen neutral, geschweige denn in der Lage sind, objektiv zu handeln. (Wir wissen ja noch nicht einmal, was das Bewusstsein ist und ob wir wirklich eins haben). Außerdem kommen da auch Damásio und viele andere Forscher ins Spiel, die sagen, dass wir ohne Gefühle kein Bewusstsein hätten – und Gefühle beeinflussen ja unsere Handlungen, machen uns subjektiv – und wie sollten wir dann ohne Bewusstsein überhaupt (selbst) handeln?

Wir sind am Ende des Tages halt doch alle Menschen und Gefühle – ob nun Angst oder Freude, Ehrfurcht oder Bewunderung, und das „moralische Gesetz“ in uns ist genauso rätselhaft wie der bestirnte Himmel über uns.

Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die  angegebenen Quellen, einschließlich KI, benutzt habe.

Quellen

Analoge Quellen:

Cham, Jorge und Whiteson, Daniel: Frequently asked questions about the universe, Auflage 2023, USA, John Murray, Seite 21

Von Hopffgarten, Anna: Die wichtigsten Bewusstseinstheorien, Seite 44 f. in: Spektrum Spezial BMH 1.24

Buzsáki, György: Wie das Gehirn die Welt konstruiert, Seite 9, in: Spektrum Spezial BMH 1.24

Digitale Quellen:

SWR2 Wissen Ehrfurcht, Demut, Staunen – Warum wir uns tief berühren lassen, https://www.swr.de/swr2/wissen/ehrfurcht-demut-staunen-warum-wir-uns-tief-beruehren-lassen-swr2-wissen-2023-12-28-100.pdf besucht am 6.2.2024

Shiota, Michelle N. et al. The Faces of Positive Emotion – Prototype Displaysof Awe, Amusement and Pride, https://greatergood.berkeley.edu/dacherkeltner/docs/shiota.campos.keltner.faces.2003.pdf  besucht am 6.02.2024

Keltner, Dacher Why Awe is Such an Important Emotion, https://www.youtube.com/watch?v=ysAJQycTw-0 besucht am 6.02..2024

Shiota, Michelle N. et al. in: The Regulation of Emotion von Philippot, Pierre und Feldman, Robert S. Positive Emotion and the Regulation of Interpersonal Realationships, https://books.google.de/books?hl=en&lr=&id=czJ5AgAAQBAJ&oi=fnd&pg=PA129&dq=shiota+mn+al+2003+Positive+emotion+and+the+regulation+of+interpersonal+relationships&ots=wbGWn2JCgm&sig=TeEGSUxOT7fWaxnTVIlANBnxGQ0#v=onepage&q&f=false, besucht am 6.02.2024

Devitt, James Emotions are Cognitive, Not Innate, Researchers Conclude, https://www.nyu.edu/about/news-publications/news/2017/february/emotions-are-cognitive–not-innate–researchers-conclude.html#:~:text=Emotions%20are%20not%20innately%20programmed,from%20the%20gathering%20of%20information. besucht am 6.02.2024

 

3. Preis

Janni Neubert (2. Semester):

Nur der Mensch bewundert den Kosmos 

Gedanken anlässlich des 300.Geburtstags von Immanuel Kant: „Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“

 

                                                        Immanuel Kant (1724-1804)

 

Abstract: Janni geht von einer eigenen überwältigenden Erfahrung des Sternenhimmels aus. Um sie zu erklären, verbindet sie die Blickrichtung eines Astrophysikers mit der eines Moralphilosophen. Beide haben wenig mit unserer gegenwärtigen Lebenswelt zu tun, führen uns aber dazu, auch einmal über das kosmische Gesamtgefüge und die unendlichen Weiten der menschlichen Persönlichkeit nachzudenken.

Es ist noch nicht lange her, als ich mit meiner Familie im Urlaub auf den Seychellen gewesen bin. Unser Ferienhaus lag am Hang eines bewaldeten Berges. Gegen Abend planschte ich im Pool unseres hellerleuchteten Gartens. Plötzlich kam mein Vater und rief mir zu: „Zieh die Schuhe an und komm mit!“. Ich hatte keine Ahnung, was er vorhatte. Etwa 20 Minuten stiegen wir durch den finsteren Regenwald im Schein einer Taschenlampe streng bergauf und erreichten schweißnass ein großes Granitplateau am Gipfel. Es war totenstill. Nur ein Uhu war in der Entfernung zu hören.  „Was machen wir hier, Papa?“. Mein Vater zeigte mit seinem Finger nach oben. Dann schaute ich auf zum Himmel. Was ich dort sah, ließ mir augenblicklich einen Schauer über den Rücken laufen. Abertausende von Sternen, einige mir bekannte Sternbilder und die Milchstraße erschienen mir in einer Helligkeit, die ich in unserer lichtdurchseuchten Zivilisation so noch nie zuvor gesehen hatte. Ich stand als kleiner Mensch auf diesem riesigen Granitplateau, aber auf einer klitzekleinen Insel in einem großen Ozean. Dieser Ozean ist nur ein kleiner Teil unserer Erde, die wiederum ein verschwindend geringer Punkt in unserem Sonnensystem ist, welches seinerseits ein winziger Fleck in unserer Galaxie ist, die ich plötzlich als leuchtender Schleier vor mir am Himmel sah. Obendrein ist der Moment, eigentlich wie mein ganzes Leben, nur ein Wimpernschlag im Jahrmilliarden dauernden Zeitgefüge. „Gibt es dort draußen vielleicht noch andere Völker, die sich ihrer bewusst sind oder fühlen und denken können?“, kreiste es in meinen Gedanken.

Ein ähnlich faszinierender Moment muss Immanuel Kant überkommen haben, denn einst schrieb er in seinem Werk „Kritik der Praktischen Vernunft“ von 1788 folgenden Satz: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“. Kant hätte am 22.4.2024 seinen 300. Geburtstag. Er gilt immer noch als einer der bedeutendsten Vordenker und Vertreter der Aufklärungsphilosophie.

Kant verknüpft im vorliegenden Zitat zwei Dinge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Oder vielleicht doch? Was war das für ein Gefühl, was mich da plötzlich überkam? Ich lebe in einer Zeit und in einer Generation, in der wir vieles bewundern. Den trainierten Body der besten Freundin, den fetten Sportwagen des Nachbarn, die Fußballkünste von Lionel Messi, die 1 in der Mathearbeit des Kursbesten oder das tolle Leben eines Influencers auf Instagram. Auch ich kann mich nicht freimachen von derart oberflächlicher Bewunderung. Aber ein Schauer ist mir dabei noch nie über den Rücken gelaufen, und meine diesbezügliche Bewunderung hat rein gar nichts von Ehrfurcht. Mein Leben ist super schnell getaktet, und jeden Tag prasseln unzählige Impulse auf mich ein. Ich gehe wie mit Scheuklappen durch die Welt, sehe immer nur das nächste Ziel vor mir und habe verlernt, einfach mal stehen zu bleiben, die Scheuklappen abzunehmen und das große Ganze zu betrachten. Kein Mensch macht sich gerne klein, und doch sind wir es im großen kosmischen Zusammenhang. Wir wissen nicht mal, warum wir überhaupt existieren. Die Naturwissenschaft stellt uns als das Produkt einer endlosen Kette von riesigen Zufällen dar und will uns erklären, dass wir ähnlich viel Wert sind und aus demselben Zweck da sind wie eine Fliege, die gerade um die Lampe fliegt. Das ist unbefriedigend für uns, denn wir halten uns für wichtig. Wir können denken, unsere Gedanken mittels Sprache oder Schrift austauschen und fühlen, oder anders gesagt, in jedem von uns finden wir ein unentdecktes Universum unseres Ich-Seins. Da sehe ich eine erste große Gemeinsamkeit zwischen dem bestirnten Himmel und dem moralischen Gesetz in mir. Es handelt sich um zwei von uns wenig entdeckte Welten, wenn wir nicht gerade Astrophysiker oder Philosophen sind. Die äußere Welt um uns herum sehen wir oftmals nicht, weil wir viel zu selten innehalten und nach oben schauen. Die Welt in uns ist uns genauso verborgen, weil wir nicht oft genug unser Denken und Handeln reflektieren und in uns hineinhorchen.

Milliarden Menschen auf der Welt suchen Antworten in Religionen und beten Götter oder Götzen an. Religionen versuchen dem für uns Unerklärbaren einen scheinbar plausiblen Sinn zu geben und erklären dabei das Unsichtbare mit der Existenz von Göttern, die wir jedoch auch nicht sehen können. Es gibt friedliche Ansätze und Epochen der Weltreligionen, aber in den größeren Abschnitten der Geschichte dienten und dienen sie als Werkzeuge der Gleichschaltung ihrer Anhänger im Kampf um die moralische Deutungshoheit. Unzählige Kriege wurden im Namen von Göttern geführt und haben unzählige Millionen Menschen getötet. Auch Religionen verknüpfen die Unerklärbarkeiten des großen Universums um uns herum mit moralischen Aspekten, Verhaltensregeln oder Gesetzen und bringen somit dieselben Dinge zusammen wie Kant in seinem Zitat.

Um zu verstehen, warum Kant so ehrfürchtig in das Innere des Menschen blickte, stellen wir uns einmal vor, was ein Menschenaffe empfinden mag, wenn er in den Himmel schaut. Der Affe hat keine Ahnung von den Gesetzmäßigkeiten des Universums und der Natur und dass er selbst nur ein winziger Teil mit begrenzter Lebenszeit darin ist. Er kann die Größe und seine Bedeutungslosigkeit einfach nicht erkennen. Was also unterscheidet ihn vom Menschen? Rein biologisch ca. 1,5% der DNA. Auch die Gehirne von Menschenaffen und Menschen gleichen sich sehr, mit Ausnahme des Neokortex, der bei uns Menschen ca. dreimal so groß ist wie beim Affen. Der Neokortex ist verantwortlich für viele unserer geistigen Fähigkeiten wie unser strategisches Denken, unsere Fantasie oder unsere Sprache. Immanuel Kant konnte das vor 240 Jahren nicht wissen. Er wusste aber, dass sich alle Menschen vom Tier unterscheiden durch ihr Denken und ihre Moral. Die Moral gibt uns Handlungsanweisungen im Umgang mit anderen Menschen. Wie soll ich mich verhalten? Was ist „gut“ und „richtig“?

Als Kant den bestirnten Himmel und das moralische Gesetz in Beziehung setzte, ahnte er offenbar bereits, dass auch die Ehrfurcht vor dem Universum an biologische und psychische Bedingungen unseres Menschseins geknüpft ist. Menschsein ist die Grundvoraussetzung, um dem Himmel und den Gesetzen der Natur mit Ehrfurcht entgegenzutreten.

                                                           Auguste Rodin: Der Denker

Die Moral ist bedroht

Welche Rolle spielt Moral in unserem heutigen Zusammenleben? Wie bereits zuvor erwähnt, macht der größte Teil der Menschheit sich wenig Gedanken um philosophische Fragen. Betrachte ich nur die Menschen in unserem Land, sind diese damit beschäftigt, ihr Leben zu organisieren, Geld zu verdienen, sich zu erholen, fortzupflanzen, im Leben voran zu kommen, sich zu zerstreuen oder Spaß zu haben, aber eben nicht über das große Ganze nachzudenken. Nahezu jeder wird von sich behaupten, dass er/sie über Moral verfügt, oder das, was man dafür hält, aber das Nachdenken über ein hohes moralisches Gesetz zum bestmöglichen Zusammenleben aller Menschen ist weit von den Lebensrealitäten entfernt. Aufgrund leidvoller geschichtlicher Erfahrungen haben wir uns grundlegende Gesetze gegeben und in die Verfassung geschrieben, nach der wir alle leben müssen. Dadurch unterscheiden wir uns vom Tier. Wir können nur hoffen, dass die Vorstellungen von Moral, wie sie sich in den moralischen Grundgesetzen niederschlagen, lange überdauern. Die Moral ist schließlich ein zerbrechliches Gut und wandelt sich im Verlauf von Epochen. Es gibt die Moral im Großen und im Kleinen. Auf das große moralische Gefüge haben wir als Individuum keinen besonderen Einfluss. Moralvorstellungen ändern sich z.B. in verschiedenen Wirtschaftssystemen, Religionen oder politischen Sphären. Man stelle sich nur vor, dass ein Aktivist sich in Peking auf den Platz des Himmlischen Friedens klebt und für die Demokratie demonstriert. Oder eine Gruppe queerer Menschen in Teheran für Rechte von Homosexuellen protestiert. Aber jeder von uns kann danach streben, an der eigenen Moral zu arbeiten. Helfe ich sofort und selbstlos, wenn ein anderer Mensch in körperlicher Not ist, z.B. bei einem Unfall? Mische ich mich ein, wenn andere Menschen bedrängt oder gemobbt werden? Kann ich jemandem helfen, der in finanzielle Not geraten ist, oder nehme ich mir einfach mal Zeit, um meinen Mitmenschen nahe zu sein und zuzuhören? Gehe ich achtsam mit Tieren oder der Umwelt um und verzichte manchmal auf ein Steak oder eine überflüssige Autofahrt?

Im kosmischen Gesamtgefüge würde es keine Rolle spielen, ob ich „gut“ oder „schlecht“ lebe. Schlecht zu anderen Menschen zu sein ist unter diesem Aspekt genauso unwichtig, wie die Ameise, die ich versehentlich und unbemerkt auf dem Weg zur Schule zertreten habe. Der Unterschied existiert nur in mir selbst, in den unendlichen Weiten meiner eigenen Persönlichkeit. Diese kann sich bis zu meinem Tod entwickeln und reifen und einen entscheidenden Unterschied machen, nicht nur für mein Leben, sondern auch für das anderer.

Hinsichtlich des moralischen Gesetzes kommen mir die Überlegungen Kants, die er vor ca. 240 Jahren veröffentlichte, vor allem aber seine Bewunderung und Ehrfurcht, immer noch modern und keineswegs überholt vor. Kant konnte sich feinsinnig in das verborgene Universum in uns selbst hineinversetzen und spielte mit Gemeinsamkeiten des Sichtbaren und des Unsichtbaren. An einem Punkt sehe ich jedoch Grenzen für die Beziehungen zwischen Mensch und Universum. Kant setzte den bestirnten Himmel und das moralische Gesetz im Hinblick auf deren Wirkungen auf uns gleich, dabei scheinen wir heute in einer wissenschaftlich aufgeklärten und weniger religiös geprägten Gesellschaft die Bewunderung für das Universum zunehmend zu verlieren. Wie dem auch immer sei, nach wie vor richtig an Kants Aussage ist jedenfalls: Kein Affe, der zum Himmel schaut, kein Wolf, der den Mond anheult, und kein Vogel, der die Sterne zur Navigation nutzt, bewundert den Kosmos, nur der Mensch!

Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt habe.

Quellen:

Harald Lesch und Jörn Müller: Weißt du, wie viel Sterne stehen? Wie das Licht in die Welt kommt (C. Bertelsmann Verlag, 17.11.2008)

Omri Boehm und Daniel Kehlmann: Der bestirnte Himmel über mir: Ein Gespräch über Kant (Prophyläen Verlag, 1.2.2024)

Khaitovich, P., Hellmann, I., Enard, W., Nowick, K., Leinweber, M., Franz, H., Weiss, G., Lachmann, M., and Pääbo, S. : Parallel patterns of evolution in the genomes and transcriptomes of humans and chimpanzees (Science, 2.9.2005)

Cicero- Magazin für politische Kultur (cicero.de): „Mehr Kant wagen“ von Fite Kalscheuer (7.5.2019)

Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Riga (Hartknoch) 1788

Der bestirnte Himmel über mir,
und das moralische Gesetz in mir
.

Ausschreibung

Ausschreibung und Einladung zum

13. HCG-Philo-Wettbewerb 2023/24

Immanuel Kant
zum 300. Geburtstag am 22.04.2024

Erwünscht ist eine philosophische Reflexion zu Kants Aussage:

Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt:

Der bestirnte Himmel über mir,
und das moralische Gesetz in mir
.

 

Liebe Schülerinnen und Schüler,

der am 17.11.2011 erstmalig ausgeschriebene „HCG-Philo“-Wettbewerb möchte Themen, Reflexionsformen und Produktarten fördern, die im Lehrplan des Philosophie-Unterrichts nicht oder selten vorkommen, dennoch von philosophischer Bedeutung sind. So werden bevorzugt Themen gestellt, die entweder sehr aktuell sind oder im Interessenhorizont vieler Schüler*innen liegt. Zu erstellende Produktarten sollen nicht die im Regelunterricht geforderten Standardformen von Interpretation und Erörterung sein, sondern freiere Formen, etwa Kritik, Kommentar, Essay, Entgegnung, Dialog, Meditation, Brief, E-Mail, Blog, Gutachten, Bildreflexion etc. Das Thema wird jährlich geändert.

In jedem Fall aber soll die euch gestellte Aufgabe mit den Mitteln philosophischer Reflexion bearbeitet werden. Darin liegt ein direkter Unterrichtsbezug, aber z.B. auch die Chance, Gelerntes auf ein lebensnahes Phänomen anzuwenden, ein mögliches Thema für die 5. PK im Abitur vorzubereiten oder eine Studienarbeit im informationstechnischen Format zu erproben.

Buchpreise werden dankenswerterweise vom Förderverein des HCG gestiftet.

Ausschreibungstermin ist jedes Jahr der UNESCO-Welttag der Philosophie, zu dem 2002 der dritte Donnerstag im November erklärt wurde. Einsendeschluss ist immer der 12. Februar, Kants Todestag. Dieser Zeitraum hat für euch den Vorteil, dass er erstens die Weihnachtsferien, meistens auch die Winterferien, einbezieht, und zweitens für die Abiturient*innen noch nicht zu spät liegt.

Die Bekanntgabe und Veröffentlichung des Gewinner*innen-Produkts erfolgt am 22. April 2024, Kants 300. (!) Geburtstag. Urkunden und Preise werden dann zum Schuljahresende, für die Abiturienten auf der Abschlussfeier, überreicht.

Ausschreibung des Themas und Sichtung eingegangener Arbeiten liegt in meinen Händen, die Bewertung erfolgt per Mehrheitsentscheidung durch die Philosophie-Lehrer*innen.

 

So, und hier ist nun eure Aufgabe für den 13. HCG-Philo-Wettbewerb 2023/24

Schreibe einen philosophischen Essay zum Thema: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.

Erläuterung: Gewünscht ist eine philosophische Reflexion über diesen berühmten Satz von Immanuel Kant aus dem Beschluss seiner „Kritik der praktischen Vernunft“. Das unermesslich Weite der physikalischen Außenwelt und das nicht Ausgedehnte unserer psychischen Innenwelt, das Weltall und der Mensch, werden darin in ein Verhältnis gesetzt. Wie deutest du dieses Verhältnis? Was verbindet Moral und Sternenhimmel miteinander? In welchem Verhältnis steht der kleine Mensch mit seiner Moral zu der großen Natur mit ihren unzählbaren Galaxien und Sonnensystemen? Kant sagt, es sei Bewunderung und Ehrfurcht, die wir für beides empfinden. Das glauben wir ihm sofort. Nur: Ist das heute, im Zeitalter von Weltraumfahrten und brutalen Kriegen, noch genauso? Und was ist eigentlich Ehrfurcht? Können wir so etwas überhaupt noch empfinden? Und wenn ja, was macht sie mit uns?

Fragen über Fragen, ganz grundsätzlicher Art! Die eine oder andere davon könntest du in deinem Essay beantworten.

Auf jeden Fall bin ich gespannt, wie du das Thema angehst: Ethisch, anthropologisch, naturphilosophisch, technikphilosophisch, astrophysikalisch, wissenschaftsphilosophisch, gesellschaftskritisch, staats-, religions- oder sogar neurophilosophisch.

Wie beurteilst du unsere Situation im Weltall? Du sollst „frei“ und auch mit persönlichen Bewertungen über die Frage nachdenken. Philosophisch wird dein Text dadurch, dass du das Thema in grundsätzlichen Gedanken, Argumenten oder Betrachtungen reflektierst, die zur Orientierung im Leben beitragen können. (Philosophieren heißt schließlich, sich in Grundfragen des Denkens, Lebens und Handelns zu orientieren.) Solltest du für deine Arbeit eine KI, z.B. Chat GPT oder ein ähnliches Programm benutzen, musst du genau angeben, welche Anteile damit erstellt wurden. Außerdem sollen mindestens 3 Offline-Quellen (Bücher, Zeitschriften oder Zeitungs-Aufsätze) verwendet werden.

Dein Text soll maximal 4 Computer geschriebene Seiten umfassen, Schrift-Format: Times New Roman, Größe 12, ca. 3 Zentimeter Rand, einzeilig. Im Kopf der Arbeit sind der volle Name und die Jahrgangs-Stufe anzugeben; am Ende des Essays soll die Erklärung stehen: Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen benutzt habe.

Sende deinen Text bitte in einem Word- oder rtf-Format abgespeichert an: Muellermozart@hcog.de

Die Bewertungskriterien für die eingesandten Texte sind:

1. Themenbezogenheit

2. Philosophisch-begriffliches (nicht nur fachwissenschaftliches) Verständnis des Themas

3. Argumentative Überzeugungskraft

4. Stimmigkeit und Folgerichtigkeit

5. Originalität.

Und nun viel Spaß beim Schreiben eines Essays oder anderen Beitrags über „Den bestirnten Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“!

Herzlicher Gruß,

Dr. Ulrich Müller (Fachleiter für Ethik/Philosophie)

Hier noch mal das Wichtigste in Kürze

13. HCG-Philo-Wettbewerb 2023/24

Ausschreibung: Am 16.11.2023, dem UNESCO-Welttag der Philosophie (3. Donnerstag im Monat November)

Teilnahmeberechtigt: Die Oberstufe und 9. wie 10. Klassen

Aufgabe: Das Schreiben eines philosophischen Essays oder anderen Beitrags zum Kant-Zitat: Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“.

Format: Computergeschriebener Text; maximal 4 Seiten; Schriftart: Times New Roman in Größe 12, ca. 3 Zentimeter Rand, einzeilig; im Kopf der Arbeit: Name und Jahrgangsstufe; am Ende des Textes die Erklärung: Ich versichere, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen, einschließlich KI, benutzt habe.

Einsendeschluss: Am 12.02.2024 (Kants Todestag)

Adresse: Muellermozart@hcog.de

Gewinner/innen: Am 22.04.2024 (Kants 300. (!) Geburtstag)

Preis: Ehrung, Bücher und Urkunden für die drei besten Texte

 

Die Siegertexte früherer HCG-Philo-Wettbewerbe findet ihr hier>