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Kommentare zur Abstimmung

„Diese Schule will ihren Namen behalten“

Vier Kommentare zu einer irritierenden Abstimmung

Vorgeschichte  * 1957

In ehrfürchtigem Gedenken … Künder wahren Menschentums

Urkunde der Namensverleihung im Jahre 1957  (Ausschnitt).

einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller
der 20er, 30er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts (Wikipedia)

Sommer 2022

Soll der Schulname des Hans-Carossa-Gymnasiums geändert werden?

Seit einigen Jahren gab es am Hans-Carossa-Gymnasium wiederholt Bestrebungen, den Schulnamen zu ändern. Hans Carossa ist als Autor wohl etwas aus der Zeit gefallen: Seine Werke werden nicht mehr verlegt. Wegen seiner Rolle während der Nazizeit wurde seine Eignung als “ mutiges, demokratisches Vorbild“ für die Heranwachsenden von verschiedenen Seiten massiv bezweifelt; zuletzt wurde er als „Nazi-Profiteur“ bezeichnet.

Eine Schulnamen-AG hat nun im Sommer 2022 eine Abstimmung aller Mitglieder der Schulgemeinde (alle Kolleg:innen, alle Schüler:innen, alle Eltern) zur Frage einer Namensänderung durchgeführt. Die Abstimmung wurde durch verschiedene Informations- und Diskussionsaktivitäten, besonders im Bereich der Schüler, inhaltlich vorbereitet.

Die Schulgemeinde hat am 6. Juli 2022 abgestimmt:

SCHÜLERSCHAFT
36 % für die Umbenennung
64 % gegen die Umbenennung
LEHERSCHAFT
83 %  für die Umbenennung
17 % gegen die Umbenennung
ELTERNSCHAFT
43 % für die Umbenennung
57 % gegen die Umbenennung

Das Ergebnis ist beeindruckend klar und zugleich irritierend: Der 83-prozentigen Befürwortung eines Namenswechsels durch das Kollegium steht die deutliche Ablehnung durch die Schüler- und Elternschaft gegenüber. Der Tagesspiegel titelt:

„Diese Schule will ihren umstrittenen Namen behalten“

Da ergeben sich viele Fragen, und eine Kommentierung des Ergebnisses aus unterschiedlichen Perspektiven scheint sehr angebracht.

Schulleiter
Lehrer
Elternvertreter
Schülersprecherin

kommentieren das Ergebnis der Abstimmung

SCHULLEITER

RUßBÜLT

… war ich zunächst erstaunt und auch ein Stück weit enttäuscht.

Als demokratischer Prozess ein Highlight des Schuljahres.

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LEHRER

MEWES

Von einem schulweiten Konsens über den Namen kann beim besten Willen keine Rede sein.

Die Auseinandersetzung über den Schulnamen hat gerade erst begonnen.

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ELTERNSPRECHER

STOLT

Das Ergebnis der Abstimmung wird dieser Schule und ihrem Ruf, sich für eine verantwortungsbewusste, zukunfts- und werteorientierte Gesellschaft einzutreten, nicht gerecht.

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SCHÜLERSPRECHERIN

LINA

Unsere Schülerschaft: Zwischen Tradition, ein wenig Gleichgültigkeit und dem starken Wunsch nach Veränderung.

Während die einen feiern, schämen die anderen sich für das Wahlergebnis.

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Foto-Montage: M. Heun

 Henning Rußbült, Schulleiter

Als demokratischer Prozess ein Highlight des Schuljahres

Als ich das Ergebnis der Abstimmung hörte, war ich zunächst erstaunt und auch ein Stück weit enttäuscht.

Der Prozess der Abstimmung war transparent und sehr demokratisch, was uns ein wichtiges Anliegen war. Wir haben alle am Schulleben Beteiligten in die Entscheidung eingebunden.

Wir haben den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit gegeben, sich mit der Frage auseinanderzusetzen und ihnen einen Kriterienkatalog an die Hand gegeben, an denen sie sich bei Schulnamen orientieren können.

Am Ende ist die Problematik unseres Schulnamens für viele, insbesondere für die Schülerinnen und Schüler wohl zu abstrakt geblieben. Auch ist der Name Hans-Carossa-Gymnasium ein in Spandau vertrauter Klang, der traditionell für die über Generationen hin entwickelten Schul-Identität steht. Es war wohl weniger eine Sachfrage als eine Einstellungsfrage.

Bei den Eltern spielte wohl auch noch ein politischer Aspekt eine Rolle. Es wurde befürchtet, dass der Name Hans Carossa im Sinne einer Cancel Culture aus dem historischen Bewusstsein gelöscht werden sollte.

Die sehr deutliche Mehrheit des Kollegiums von 83 % für eine Namensänderung resultiert aus der Perspektive der Lehrenden, deren tägliches Tun an einer pädagogischen Zielsetzung orientiert ist; dieser Zielsetzung im Ganzen dient das Leitbild, das mit einem Schulnamen verknüpft ist: Ein Schulname vermittelt auch Werte.

Wenn man sich bei dem Prozess der Namensfindung öffnet und die Schulgemeinde als Ganzes, also die Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft, die Entscheidung trägt, dann muss ich als Schulleiter das Ergebnis auch akzeptieren und respektieren.

Solch komplexe Aktivitäten einer Schulgemeinde, wie sie im zweiten Halbjahr des Schuljahres von Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern mit den verschiedensten Impulsen, Informationen und Diskussionen und schließlich mit der Abstimmung vollzogen wurden, kommen nicht jedes Jahr vor und waren als schulgemeinschaftlicher Prozess ein Highlight des Schuljahres.

Die dabei vorgebrachten Fakten, Argumente und Zielvorstellungen sind es wert, festgehalten zu werden. Ich bemühe mich gerade um Lotto-Mittel für eine entsprechende Ausstellung im Foyer. Sie dient dann dem aufgeklärten Bewusstsein vom Namen unserer Schule.

   Carsten Mewes, Lehrer

Carossa bleibt – noch

Die Entscheidung ist gefallen: Carossa bleibt. Anders als die Lehrkräfte haben sich Schülerinnen, Schüler und Eltern mehrheitlich gegen eine Namensänderung der Schule ausgesprochen. Das Ergebnis verdient zunächst Anerkennung, ist es doch das Resultat eines bewusst und richtigerweise mit größtmöglicher Transparenz, breiter Beteiligung und Ergebnisoffenheit durchgeführten Prozesses, an dessen Ende eine demokratische Abstimmung über den Schulnamen stand. Und Demokratie, so beschrieb sie schon Aristoteles, ist die Herrschaft des Willens der Mehrheit.

Vordergründig betrachtet war innerhalb der Schulgemeinde die Bereitschaft zur Veränderung und Neuausrichtung der Schule offenbar weit weniger stark ausgeprägt als der Wille zur Wahrung einer rund fünfundsechzigjährigen Namenstradition. Aber ist die Debatte um den Schulnamen damit beendet?

Schaut man genauer auf das Abstimmungsergebnis, wird schnell deutlich, wie umstritten der Name Hans Carossa ist: Die Schülerinnen und Schüler haben sich zu beinahe zwei Dritteln für die Beibehaltung des alten Namens ausgesprochen, die Lehrkräfte fast einhellig für eine Umbenennung der Schule, das Votum der Eltern muss man wohl als zwiegespalten charakterisieren.

Von einem schulweiten Konsens über den Namen kann beim besten Willen keine Rede sein. Der aber ist dringend notwendig, wenn ein Schulname mehr sein soll als ein Schriftzug über dem Portal, wenn er als Identifikation und Leitbild einer Schulgemeinde dienen soll.

Insofern ist das Ergebnis der Abstimmung vor allem ein Auftrag zur vertieften Auseinandersetzung – innerhalb und außerhalb des Unterrichts – mit Hans Carossa, seinem Leben, seinem literarischen Werk, seiner Zeit. Dazu gehört die Beschäftigung mit seiner Lyrik ebenso wie beispielsweise die Einrichtung einer Dauerausstellung im Foyer und auf der Homepage der Schule, die das Für und Wider des Namens Carossa zum Gegenstand haben muss und eine Einladung zur permanenten Diskussion über die Eignung dieses Namens als Schulname darstellt. Die Ergebnisse, die an den Projekttagen am Ende des Schuljahres 2021/22 generiert worden sind, können hierfür eine erste Grundlage bilden.

Zum Wesen demokratischer Entscheidungen gehört aber auch, dass sie keine eingebaute „Ewigkeitsklausel“ besitzen, sondern sich von Zeit zu Zeit auf ihre Gültigkeit hin überprüfen lassen müssen. Was heute einer Mehrheit sinnvoll und richtig erscheint, kann schon morgen eine Minderheitenposition und nicht mehr zeitgemäß sein.

Carossa bleibt – vorerst! Denn die Auseinandersetzung über den Schulnamen ist mit der Abstimmung vom 6. Juli 2022 nicht zu Ende, sie hat gerade erst begonnen.

 Thomas Stolt, Elternsprecher

Schritte in Richtung neuer Schulname

Das Ergebnis der Abstimmung ist für die Mitglieder der Schulnamen-AG enttäuschend. Es wird dieser Schule und ihrem Ruf, sich für eine verantwortungsbewusste, zukunfts- und werteorientierte Gesellschaft einzutreten, nicht gerecht.

Die Eltern haben trotz der Möglichkeit, per Briefwahl abzustimmen mit 17 % nur eine sehr geringe Beteiligung. Für die Eltern ist das Thema anscheinend nicht wichtig genug, es besteht nur wenig Interesse an der Beteiligung an der Schule. Eine Tatsache, die wir Eltern, die sich als Klassenelternsprecher, in der GEV und in den anderen Gremien und Arbeitsgruppen ehrenamtlich beteiligen, gut kennen.

Die Schüler haben sich für den alten Namen entschieden. Hier braucht es mehr Aufklärung und Unterstützung, den geschichtlichen Kontext zu verstehen. Ein sehr großer emotionaler Bezug zum Namen Carossa mag hier den Ausschlag gegeben haben.

Die Lehrerschaft hat sich mit überwältigender Mehrheit für Erneuerung und Aufarbeitung entschieden.

Ich begrüße die Entscheidung, an dieser Sache weiterzuarbeiten. Ausstellungen unter Beteiligung aller Interessierten im Foyer über das Wirken Carossas, seine Entscheidungen und Äußerungen vor, während und nach dem 2. Weltkrieg werden uns helfen, die nächsten Schritte in Richtung neuer Schulname zu gehen.

 Lina Olrogge, Schülersprecherin

Unsere Schülerschaft
Zwischen Tradition, ein wenig Gleichgültigkeit und dem starken Wunsch nach Veränderung

Seit Monaten ist der Prozess einer möglichen Schulnamensänderung im Gange, am letzten Schultag steht nun das Ergebnis: Der Name soll bleiben. Die Reaktionen in der Schülerschaft könnten nicht kontroverser sein, denn während die einen feiern, schämen die anderen sich für das Wahlergebnis und sehen sich und ihre Ideale in keiner Art und Weise repräsentiert. Bei einigen scheint die Gleichgültigkeit gegenüber einem Schulnamen die Entscheidung geleitet zu haben und auch jetzt nicht emotional behaftet zu sein.

Wie kommt dieser große Zwiespalt zustande? Einerseits gibt es definitiv eine Gruppe progressiv denkender Schüler*innen, die sich besonders in dieser Debatte durch eine fehlende Identifikation mit Carossa und seinem umstrittenen historischen Hintergrund für Veränderung eingesetzt hat.

Andererseits beruft sich die Mehrheit auf das Traditionsargument: „Die Schule hieß schon so, als meine Eltern noch hier waren, warum sollten wir das jetzt ändern?“

Zu wenige Punkte gegen Carossa scheinen hier priorisiert oder anerkannt zu werden und die weitere Erklärung, weshalb das Hans-Carossa-Gymnasium niemals anders heißen sollte, besteht meist darin, dass Carossa nicht genug Schlimmes getan hätte, das den Aufwand einer Schulnamensänderung rechtfertigen würde. Außerdem spielt die Angst, der Ruf der Schule könnte leiden, eine Rolle.

Wir können uns jetzt natürlich fragen, inwieweit die gerade gefallene Entscheidung den Ruf und auch das Miteinander unserer Schule beeinflussen wird.

Gerade nach der getroffenen Entscheidung wird es nun wichtig sein, Wege zu finden, trotz all unserer verschiedenen Meinungen, die Debatte als Chance zu begreifen, aus der wir gestärkt als Schulgemeinschaft hervorgehen können.

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Redaktion M. Heun