Antidiskriminierungsbeauftragter
Diskriminierung in der Schule
Wie sieht sie aus? Was kann man tun?
Interview mit dem Antidiskriminierungsbeauftragten für die Berliner Schule
Derviş Hizarci (* 1983 in Berlin) wuchs in Neukölln auf und arbeitete als Lehrer in Kreuzberg. Im August 2019 wurde er zum neuen Antidiskriminierungsbeauftragten für die Berliner Oberschulen ernannt. Hizarci gehört zum Beraterkreis des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung. Er ist leidenschaftlicher Fußballer und spielt bei Makkabi Berlin.
Herr Hizarci, die Schule ist ein behüteter Raum. Und dennoch gibt es Diskriminierung. In welcher Form erleben Schüler*innen heute Diskriminierungen?
Das umfasst die ganze Bandbreite, die die Vielfalt des Berliner Lebens mit sich bringt. Es gibt Fälle, da werden schwarze Kinder rassistisch diskriminiert oder Mädchen, die Kopftuch tragen. Es betrifft Eltern, die aufgrund ihrer Herkunftssprache ausgegrenzt werden, genauso wie auch Lehrkräfte.
Ihre Eltern sind 1969 aus der Türkei nach Berlin gezogen. Haben Sie selbst als Schüler oder später als Lehrer Diskriminierungen erlebt?
Meine Eltern haben viele Benachteiligungen erlebt, aber stets versucht, das von uns Kindern fernzuhalten, damit wir nicht voreingenommen gegenüber „den Deutschen“ werden. Ich selbst habe in der Schule und bei der Wohnungssuche Erfahrungen gemacht, die beschämend waren. Wenn Sprüche fielen wie „Wir sind hier nicht auf dem türkischen Basar“ oder wenn es hieß, der Vermieter will keine Türken im Haus. Als Lehrer wurde ich auch auf meinen türkischen Hintergrund reduziert.
Die Berliner Schulsenatorin Sandra Scheeres fordert vehement:
„Diskriminierung und Ausgrenzung dürfen an der Berliner Schule keinen Platz haben. Hier darf es kein Wegschauen oder Bagatellisieren geben.“
Wer ist da in welcher Weise gefordert?
Alle sind gefordert. Als Schüler*in, als Lehrer*in oder als Elternteil – es gibt viele Möglichkeiten, etwas gegen Diskriminierung zu tun. Ob man nun in einem konkreten Fall direkt eingreift oder eine Autoritätsperson hinzuzieht, ob man sich an die Zivilgesellschaft wendet oder den Antidiskriminierungsbeauftragten kontaktiert. Es ist generell wichtig, etwas zu unternehmen, wenn man Diskriminierung mitbekommt.
Hätten Sie ein Beispiel aus dem Alltag?
Ein gängiges Beispiel ist, dass Schulen wenig Sensibilität mit Mehrsprachigkeit zeigen. Das ist der Fall, wenn zum Beispiel das Sprechen anderer Sprachen auch in unterrichtsfreien Momenten nicht geduldet wird. Oder wenn Eltern, die nicht gut deutsch sprechen, keine Übersetzungshilfe bekommen.
In der Süddeutschen Zeitung* gaben Sie ein Beispiel, wie Sie als Lehrer reagieren, wenn ein Schüler zum anderen „Du Jude“ sagt?
Den halte ich sofort an und frage ihn:
Was hast du gerade gesagt?
Meistens antwortet der Schüler: Ich hab gar nichts gesagt.
Dann ich: Du hast doch soeben ‚Jude‘ gesagt. Warum denn?
Er: Ich hab das nur so gesagt, ist doch okay jetzt.
Ich: Nein, ist nicht okay. Was sollte das?
Er: Ich wollte ihn ärgern.
Ich: Was ärgert denn daran?
Er: Na, Knecht halt.
Ich: Wie, Knecht?
Er: Na, dass er nichts ist.
Ich: Was ist er nicht?
Schon nach ein paar Sekunden wird es eng für den Schüler in unserm Gespräch. Aber ich rede auch mit den Eltern beider Schüler und mit der Klasse. Dafür muss ich kein Antisemitismus-Experte sein, das sollte man von jedem Lehrer erwarten können.
Über das Kopftuch wird viel gestritten. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Was Lehrkräfte angeht, gilt in Berlin das Neutralitätsgesetz. Bei Kindern und Jugendlichen plädiere ich für Offenheit und Verständnis. Wenn sich ein Lehrer Sorgen macht, ob ein Mädchen das Kopftuch freiwillig trägt, wäre es zunächst wichtig, ihr zu vermitteln: „Du bist mir wichtig, deshalb mache ich mir Gedanken darüber“. Wenn man das nicht macht, kommt bei der Schülerin nur an, dass man ein Problem mit ihr hat.
Es gibt ja auch Befürchtungen, dass Kinder, die kein Kopftuch tragen, unter Druck gesetzt werden.
Das muss man pädagogisch lösen, zum Beispiel mit Workshops, in denen Verständnis füreinander vermittelt wird. Darum geht es in Demokratien: Räume schaffen, in denen man unterschiedliche Standpunkte austauschen kann und versucht, sich zu verstehen, voneinander zu lernen und sich näherzukommen.
Welche Haltung prägt Ihre Arbeit?
Die Überzeugung, dass man Kinder und Jugendliche nur erreicht, wenn man sie ernst nimmt und aktiv miteinbezieht. Wir verurteilen und bestrafen nicht, sondern schärfen ihr Bewusstsein für das, was sie tun.
Herr Hizarci, wir danken Ihnen für das Interview.
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Das Interview führte Manfred Heun. Foto: Daniel Eliasson
Süddeutsche Zeitung vom 28.3.2019