Podiumsdiskussion
Zwei Polit-Diskussionen – eine in und eine vor der Aula
inklusive Demonstration und Polizeischutz
Wir wollen die Schule politisieren, demokratisieren und debattierfähig machen,
so formulierten – durchaus anspruchsvoll – Jakub, Fernando und Arthur, das neu gewählte HCG- Schulsprecherteam, ein Ziel ihrer GSV-Arbeit für das Schuljahr 2022/23.
In diesem Sinne haben sie – unterstützt von der Schulleitung – eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der Parteien des Berliner Abgeordnetenhauses geplant, mit viel Mühe organisiert und erfolgreich durchgeführt.
Themen: „Globale Sicherheit“ und „Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht“
Zugesagt hatten: Helmut Kleebank, Bundestagsabgeordneter der SPD, Uwe Fröhlich von den Grünen, Ersin Nas von der CDU, Franziska Brychcy von der Linken und Andreas Otti von der AfD.
Ein AfD-Vertreter in der Schule? Das sah eine Berliner Schülergruppe, die Autonome Schüler:innen-Syndikat (ASS) kritisch, und rief via Instagram zu einer Demonstration vor dem HCG-Schulgebäude auf.
Die Demonstration war für 20 Personen angemeldet worden. Die Polizei erschien mit drei Fahrzeugen.
Zwei Schulsprecher auf Empfangsposition
Gegenüber hatten sich die Demonstrierenden positioniert, …
… noch ohne Lautsprecher; das Lastenfahrrad war noch unterwegs.
Maria Häußler, eine Journalistin der Berliner Zeitung, die die ASS-Gruppe für eine Reportage schon im Bus begleitet hatte, hatte den Schulleiter Henning Rußbült für ein Interview gewonnen.
Rußbült betonte – wie auch schon in einer Erklärung> im Vorfeld der Diskussion, dass die Veranstaltung eine Initiative der Schülerschaft sei. Er wolle nicht „reingrätschen“, wenn die Schüler eine breite und kontroverse Diskussion führen wollen. Damit wolle er dem „Demokratiedefizit“ in der Gesellschaft entgegenwirken und die Autonomie der Schüler fördern.
Sie haben die Veranstaltung gestemmt: Jakub und Arthur gaben technischen Support und unterstützen die Diskussion mit Recherchen bei Kontroversen; die beiden rechts, Fernando und Lisa, sind schon für die Diskussion verkabelt.
Schulleiter Rußbült begrüßte die Gäste auf dem Podium und dankte ihnen für ihren Einsatz im Dienste der politischen Bildung. Er zitierte Bundespräsident Steinmeier, der am Tag zuvor zur Diskussion über die militärische Unterstützung der Ukraine aufgerufen hatte, sie brächte viele Christen in ein Dilemma. Der Schulleiter freut sich über das Engagement der Schüler:innen und sieht die Veranstaltung als eine Aktion gegen Politikverdrossenheit und dies besonders in einer Gesellschaft, die auseinanderzudriften droht. Er erwarte, dass alle Äußerungen sich im Rahmen der Verfassung bewegten und erinnerte an die Tugend, einander ausreden zu lassen.
Da hatten die Schülerin und der Schüler eine Runde gestandener Politiker um sich. Die beiden, Lisa und Fernando, waren fest entschlossen, sich von den Polit-Profis nicht das Konzept einer sachorientierten, fairen und dem Argument verpflichteten Diskussion vermasseln zu lassen. Sie führten ein strenges Regiment und scheuten sich nicht, auch Kritik an einzeln Äußerungen zu üben.
Es gab zwei Themenrunden: Einmal Bundeswehr, Außen- und Sicherheitspolitik – und zum anderen Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht. Anschließend wurden Fragen der Gesprächsleitung und aus dem jungen Publikum diskutiert. Die Diskussion verlief ruhig in darstellender Weise; direkter Schlagabtausch war eher selten.
Die gut zwei Stunden dauernde Veranstaltung zeigte einige grundsätzliche Übereinstimmungen, so z.B. bei der Verurteilung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, aber auch deutliche Differenzen, so bei der Größe der künftigen Militärausgaben, wobei die Vertreterin der Linken eher auf Sozialausgaben setzte.
Die fünf Diskutanten mit einzelnen ihrer Bemerkungen (in alphabetischer Reihenfolge):
Franziska Brychcy, DIe Linke
Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
Landesvorsitzende der Berlinen Linken
Diplom-Politologin
Sie verurteilt dezidiert den Angriffskrieg und den nationalistisch imperialistischen Kurs Russlands. Man müsse der Ukraine „gestatten“, sich selbst zu verteidigen.
Bei Waffenlieferungen beschwört sie eine deutsche historische Verantwortung nach dem 2. Weltkrieg: Ihre Partei sieht sie in der Tradition der Friedensbewegung.
Der Aufrüstung der Bundeswehr – einhundert Milliarden – steht sie kritisch gegenüber und lenkt den Blick auf andere Bereiche wie z.B. die Kindergrundsicherung.
Uwe Fröhlich, Bündnis 90/Die Grünen
Stadtverordneter in Potsdam
Engagiert in der Initiative „Seebrücke“
Diplomkulturarbeiter
Fröhlich äußert, dass ihm der Krieg in der Ukaraine, das unendliche Leid große Bauchschmerzen bereite. Auch befürchtet er, dass durch den russischen Angriffskrieg andere Noch-nicht-Atom-Staaten sich veranlasst sehen könnten, auch Atomwaffen zu produzieren.
Der Ukraine müsse ihre Souveränität erhalten bleiben.
Eine allgemeine Wehrpflicht lehnt er ab. Er plädiere mehr dafür, andere soziale Dienste zu verbessern.
Helmuth Kleebank, SPD
Abgeordneter des Deutschen Bundestages
Bezirksbürgermeister von Spandau (2011-2021)
Krankenpfleger, Lehrer (Mathe, Physik) Kant- und Böll-Oberschule
Drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine habe Olaf Scholz das Wort von der Zeitenwende geprägt; dies sei nicht nur militärisch zu verstehen. Russland habe gezeigt, dass es die Macht besitzt und auch einsetzt. Aktuell habe sich Russland als seriöser Verhandlungspartner selbst desavouiert.
Die Bundeswehr sei an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangt. Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht werde ein langer Prozess, der neben der juristischen Seite auch bauliche und Ausrüstungsanstrengungen erforderlich macht.
Dr. Ersin Nas, CDU
Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
Rechtsanwalt in einer überregionalen Wirtschaftskanzlei
HCO-Abitur 1998
Nas bezieht sich als Völkerrechtler auf Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen: Angriffshandlungen unterdrücken und Streitigkeiten durch friedliche Mittel bereinigen.
Die Verteidigungsfähigkeit der Bunderepublik sieht er zurzeit eingeschränkt; sie sei aber dabei, die Lücken in der Ausrüstung zu schließen.
In der Frage der Wehrpflicht sei die CDU gespalten.
Andreas Otti, AfD
Abgeordneter der AfD in der Bezirksverordnetenversammlung Spandau
Vorsitzender der AfD-Fraktion in der BVV Spandau
ehemaliger Luftwaffen-Offizier
Otti nennt Putin einen Aggressor, der die europäische Sicherheitsarchitektur verletzt habe. Otti hält den Ausgang des Krieges in der Ukraine für ungewiss und versteht sich und seine Partei als Friedensstifter: „Wir müssen mit Putin reden“. In diesem Zusammenhang will die AfD für „bestmögliche Information“ sorgen.
Friedensverhandlungen könnten über die OSZE laufen.
Zur Frage der Wiedereinführung der Wehrpflicht gebe es in der AfD verschiedene Positionen.
KLEINE KONTROVERSE
Herr Otti hatte in seinem ersten Beitrag den Ukraine-Krieg mit einem Fußballspiel verglichen: Man befinde sich zurzeit in der 70. Minute. Diskussionsleiterin Lisa monierte den Vergleich und hielt ihn für unpassend. Bei seinem zweiten Beitrag rechtfertigte Otti seine Wortwahl mit dem – nicht unhonorigen – Verweis, der Vergleich stamme von einem Mitglied des ukrainischen Generalstabs. Lisa blieb streng, sie halte ihn dennoch für unpassend. Ein Großteil des Publikums applaudierte .
DISKUSSION II
Mit Ende der Veranstaltung in der Aula eröffnete die ASS gegenüber der Schule ihre angemeldete Demonstration unter den wachen Augen des Gesetzes. Ihr Slogan: Keine AfD in den Schulen!
Herr Jasper, Lehrer für Geschichte, Politische Wissenschaften und Geografie, war ein interessierter Beobachter: Noch lange nach der Veranstaltung tauschten Schüler*innen und die Vertreter*innen der Demonstranten, zunächst laut und heftig, dann aber immer versöhnlicher Argumente aus. Die Polizei wohnte diesem friedlich verlaufenden Gespräch wohlwollend bei. Ein Vertreter der Polizei sagte, dass er diese Auseinandersetzung zwischen jungen Menschen für wichtig halte, würde sie doch zu einem gegenseitigen Verstehen der jeweiligen Argumentation beitragen.
Diskussion I und II an diesem Abend: ein demokratischer Diskurs, at its best – geplant, organisiert und durchgeführt von Schüler:innen des HCG.
PS: HCG-Diskussionsforen als Sprungbrett im Politbetrieb 🙂
Aus unserem Archiv (2017):
Herr Wegner (links im Bild) ist inzwischen Regierender Bürgermeister; Frau Jarasch bewarb sich Anfang des Jahres als Spitzenkandidatin der Grünen um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin.
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Text und Fotos: M. Heun
Die ausführliche Reportage der Berliner Zeitung finden Sie hier.